Die Rache-Regel ist die Regel der Kriege. Wie erleben das Kinder?

Ihr kennt es. Das bedrückende Gefühl nachdem man doch wieder die neuesten Nachrichten konsumiert hat. Furchtbare Kriegsgreuel. Unfassbare Unmenschlichkeit. Kriege sind näher gekommen. Auch für unsere Kinder. Russland-Ukraine, Israel-Palästina. Wie erleben Kinder diese Kriege, was macht das mit ihnen?

Ein Blick auf die Kriege aus der Kinderperspektive: Menschen verletzen und töten sich gegenseitig, mit voller Absicht. Sie töten Familien, Mamas, Papas, Geschwister, und zerstören deren Zuhause, mit voller Absicht. Einer fängt an. Weil der eine einem anderen was Böses getan hat, will sich der andere rächen. Die Regel der Kriege: Die Rache-Regel.

Werden unsere Kinder mit der Rache-Regel aufwachsen müssen?

Die Rache-Regel der Kriege: Aug‘ um Auge, Zahn um Zahn. Oder: Wie du mir, so ich dir. Oder: „Wenn’s ungerecht war, dann hol dir die Gerechtigkeit wieder: Hau zurück!“: Im Großen, aber auch im Kleinen. Ja! Es gibt noch (zu viele) Eltern und Großeltern, die ihrem Kind diesen Ratschlag geben, wenn es von einem anderen Kind geschlagen wurde.

Ist das auch eine Botschaft dieser Kriege, was ankommt bei den Kindern? Auf Aggression folgt Aggression. Das entsetzliche, zerstörerische Prinzip von Kriegen. Und Aggressionen scheinen zu brodeln auf unserer Welt. Deutschland soll deshalb ‚kriegstüchtig‘ gemacht werden (Verteidigungsminister Pistorius am 30. Oktober 2023). Zumindest in der Politik ist die Rache-Regel zur Zeit mächtig. Wachsen unsere Kinder damit auf?

Krieg erleben. Bild von pvproductions auf Freepik

Die Gefühle eurer Kinder wahrnehmen

Das Schlimmste: Kinder müssen Kriege miterleben. Mittendrin. Als Opfer. Unsere Kinder hier sind vor allem in TV und Social Media – oft ungewollt! – konfrontiert mit Bildern, die sie überfordern und belasten. Gespräche der Erwachsenen über Kriegsereignisse erschrecken sie. Diese Gefühle bleiben hängen. Wie verarbeiten sie die Kriege und Aggressionen – in ihren Emotionen, im Denken und Handeln? Entstehen dadurch Aggressionen? Gibt es Kinder, die das Prinzip ICH RÄCHE MICH in ihren Alltag übertragen? Was hilft Kindern, die sich Sorgen machen und an Ängsten leiden? Wie wird ihnen dabei von den Erwachsenen geholfen? Was nehmt ihr wahr bei euren Kindern?

Die beste Hilfe zur Beantwortung meiner vielen Fragen bekomme ich diesmal von den Kindern selbst.

Kinder sagen dazu:

‚Diese Kriege, wie ist das für dich?‘
E, 12 Jahre:
Ich will mich eigentlich nicht mit dem Krieg befassen. Ich bin auch nicht der Typ für Ballerspiele, ich mag das nicht. Ich stehe auf keiner Seite, beide haben etwas Dummes gemacht. Ich bin neutral. Es ist ein Teufelskreis. Den dritten Weltkrieg überlebt diese Erde nicht mehr, wegen Atombomben.
E, 6 Jahre:
Ich habe schon 100mal über den Krieg gehört. Manche Menschen verlieren dort ihren Arm und das ist ganz schlimm. Zum Glück ist das bei uns nicht.
J, 10 Jahre:
Ich verstehe nicht, warum man das überhaupt macht. Warum reden die nicht einfach miteinander? Der Bundespräsident soll überall anrufen und allen sagen, dass sie an den Hamas keine Waffen mehr geben sollen.

‚Was bekommst du in den Medien über den Krieg mit?‘
E, 12 Jahre:
Die Schüler reden auf dem Schulhof dummes darüber. Wir haben ukrainische Mitschüler. Von Nachrichten auf meinem eigenen Fernseher (Tagesschau). Über den Youtube Kanal „Wissenswert“.
E, 6 Jahre:
RTL-Nachrichten beim Frühstück. Logo Nachrichten in der Frühstückspause in der Schule.
J, 10 Jahre: Nicht so viel. In Logo „Kindernachrichten“ wird viel darüber berichtet. In der Schule gibt es ukrainische Flüchtlingskinder.

Sprichst du mit deinen Eltern darüber?
E, 12 Jahre:
Nein, meine Mama will das nicht hören, ich will auch eigentlich nicht, das macht mich verrückt.
E, 6 Jahre:
Ich rede mit meinen Eltern darüber nicht, die interessiert das glaube ich nicht.
J, 10 Jahre:
Meine Eltern haben nie richtig Zeit darüber zu reden.

‚Erlebst du mehr Gewalt?‘
E, 12 Jahre:
Von den Kindern nicht. Die waren vor dem Krieg aggressiver. Es sind viele Ballerspiele rausgekommen. Die Leute sehen jetzt was Aggression anrichten kann, Krieg ist die Saat des Teufels. Wir könnten so viel anderes machen, zum Beispiel den Mars bewohnbar machen.
E, 6 Jahre:
Nein.
J, 10 Jahre:
Ganz klar mehr Kampfspiele mit Verletzungen. Einmal hat jemand einen Böller mit in die Schule genommen, das hat ganz schön geknallt.

(aus Gesprächen der Ergotherapeutin Fabienne Schmidt mit Kindern in ihrer Praxis, Januar 2024)

Wie helfen wir?

Social Media: Handy, Tablet, TV. Überall schwirren Bilder und Videos über die Screens. Kinder, die aus Kriegen geflüchtet sind, haben die Bilder im Kopf. Kids SIND in ihrem Alltag konfrontiert mit den Greueln der Kriege. Wie helfen wir?

Der Impuls von uns Erwachsenen ist doch fast immer erst mal: Reden. Dem Kind das Ganze erklären. Aber wenn’s um Krieg geht und dabei die eigene Hilflosigkeit und Wut angesichts des grausamen Tötens die Oberhand gewinnt? Weniger reden. Zuallererst dem Kind zuhören. Was möchtest du wissen? Dem Kind Zeit lassen. Dann selbst erst überlegen und in wenigen, klaren Worten antworten. Das wichtigste ist: Sicherheit vermitteln. „Wir sind da, bei dir. Unser Land ist sicher.“ Macht Mut! Ältere Kinder fordern mehr ein. Ein Gespräch sollte sich immer nur auf die Fragen der Kids beziehen. Keine Informationen, die sie nicht einfordern.

Alle Gefühle dürfen da sein. Foto: Freepik

Das Allerwichtigste ist: Nehmt die Gefühle der Kinder in den Mittelpunkt. „Dich beschäftigt das ziemlich, was du da vom Krieg gesehen oder gehört hast. Magst du darüber sprechen? Wie fühlt sich das an bei dir? Wo sitzt denn das Gefühl in deinem Körper, vielleicht im Bauch, dem Kopf, den Beinen? Oder woanders?“ Unterschätzt die (verborgenen) Gefühle nicht. Sie haben einen starken Einfluss auf das Wohlergehen und das Erleben der Kids.

Gebt den Kindern Raum für ihre Gefühle!

Angst, Schmerz, Traurigkeit, Wut, Ohnmacht, Verzweiflung – und tatsächlich auch die Aggression. Kinder spüren Gefühle oft als Unwohlsein, zum Beispiel als Bauchweh. WARUM sie diese Gefühle haben, ist ziemlich schwer in Worte zu fassen für die meisten. Aggression, die Gewalt gegen andere, kann ein Resultat all dieser im Körper verborgenen, dennoch schlimmen und frustrierenden Gefühle sein! Gebt den Kindern Raum für diese Gefühle. Wie das gelingen kann, erkläre ich euch gleich im Abschnitt So könnt ihr helfen! genauer.

Aggressionen zu haben sollte KEIN TABU für Kinder sein! Schaut aufmerksam hin: Kinder geben euch damit vielleicht einen Hinweis, dass sie Unterstützung brauchen, Hilfe im Verarbeiten von aufwühlenden oder sogar verletzenden Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken.

Lasst die Gefühle da sein. Versucht, auch euren eigenen Emotionen Raum zu geben. Klar, das erfordert oft Überwindung, kann weh tun. Aber Gefühle gehen auch wieder vorüber, vielleicht sogar viel leichter, wenn sie raus können. Den Kids hilft es sehr, wenn ihr authentisch seid und sie erleben, dass auch den Großen diese Kriege Sorgen bereiten. Das bekommen sie so oder so mit, Kinder sind da ausgesprochen feinsinnig! Es gibt kreative Wege, eure Emotionen, gemeinsam mit den Kids, wahrzunehmen und zu verarbeiten.

Aggressionen genauer betrachtet

Die Tatsache ist: Aggressionen zu haben gehört zu uns Menschen. Am eigenen Leib erlebte Ungerechtigkeit, von anderen zugefügte Schmerzen – dieses Leid kann wahnsinnig wütend und rachsüchtig machen. Will man sich rächen, dabei dem anderen schaden, ihn verletzen, vernichten – dann ist das Aggression. Wut, Ärger, Hass, Gier, Neid, nicht zu vergessen Angst und Verzweiflung, sind Gefühle, aus denen Aggression wachsen kann. Bei Kindern kann es auch schiere Frustration sein, die aggressives Verhalten auslöst. (Ein Eye Opener: Das Buch von Jesper Juul, Aggression – Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist, Fischer-Verlag, 2017)

Aggression: Ich vernichte dich! Foto: benzoix, Freepik

Liebe Eltern, liebe Menschen, die mit Kindern arbeiten: Verurteilt keine Kinder, die Aggressionen zeigen. Per se sind Aggressionen bei Kindern nicht ‚böse‘ gemeint. Beobachtet. Wendet euch dem Kind zu, seid aufmerksam, präsent. Akzeptiert es. Dann bezieht Stellung: „Ich will, dass du aufhörst. Hier gehen wir fair miteinander um. Und ich möchte gern wissen, was hat dich denn so wütend gemacht?“ Euer Mitgefühl, eure Achtsamkeit kann in der Situation so vieles bewirken bei den Kids. Seid geduldig. Lest dazu auch: Kinder. Die wahren Schätze in unserem Leben.

Trainiert mit ihnen, wie sie anders reagieren können. Eine Regel sollte sein bei gewalttätigen Konflikten der Kids: Das Signal „Stopp.“. Dann: Aufeinander zugehen, dem/der anderen zuhören und miteinander einen Kompromiss aushandeln. Bereit sein, sich die Sache aus der Perspektive des/der anderen anzuschauen. Sich Hilfe dazu holen. Kein „Hau zurück!“. Seid ein gutes Vorbild.

Konflikte lösen: Wie geht Frieden? Was leben wir unseren Kindern vor?

Was ist denn wichtiger als Frieden? Er ist die Basis unseres Zusammenlebens. Ich vermisse schmerzhaft das Wort ‚Frieden‘ aus den Mündern der Politiker. Ist es uncool geworden unter Politikern, von Frieden zu reden? Was nützt uns Politik für Klimaschutz, Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit, wenn Kriege mächtiger Männer unsere Welt kaputtmachen? Wenn Kinder, Frauen, Männer unschuldig sterben müssen, aus Gier und Rache der Mächtigen.

Konflikte entstehen, wenn unvereinbare, konträre Interessen aufeinanderprallen. Die gibt’s immer und überall. Werden sie verdrängt und ‚unter den Teppich gekehrt‘, entlädt sich der Konflikt, oft, … in gegenseitiger Aggression. Allerdings haben wir Menschen ja die Wahl: Unter Menschen ist ein Weg zur Konfliktlösung – das Miteinanderreden. Das Aushandeln von Kompromissen in Gesprächen, damit wieder Friede herrscht!

Kinder sind Beobachter. Sie lernen am Zuschauen, Zuhören, Mitfühlen. Sie brauchen, um friedlich leben zu lernen, Vorbilder. Das sind wir. Wir haben Verantwortung dafür, was die Kids mitnehmen in die Zukunft. Wir alle sollten uns anstrengen.

So könnt ihr helfen! Den Kindern etwas von der Last abnehmen.

Dunkle Gefühle sind wie dunkle Wolken – sie kommen… und gehen auch wieder. Bild von Freepik

Das kurze, einfühlsame Gespräch, wenn ein Kind das Thema Krieg anspricht, ist oben schon beschrieben. Hier sind noch einige erprobte Tipps aus unserer Ergotherapie-Praxis, die euch und euren Kids helfen, Sorgen und dunkle Gefühle erspüren und ausdrücken zu können:

Der Nudelkampf

Spielerisch Aggressionen ausleben. Manche Kids reagieren zuerst verblüfft oder verhalten auf die erlaubte Möglichkeit, mit der Schwimmnudel zu ‚kämpfen‘. Man kann ordentlich fest hauen, das zieht ein bisschen, schmerzt aber nicht wirklich. Großen Wert legen wir auf die Spielregeln! Die müssen exakt eingehalten werden. Dafür macht ein Kind der Gruppe Schiedsrichter/in. Oder die Therapeutin übernimmt das. Wobei wir Therapeutinnen auch gerne mal mitkämpfen 😉 Spaß macht es allen, trotz aller Unterschiede im Temperament. Und wenn Wunschstunde ist in der Therapie, dann steht der Nudelkampf immer ganz vorne auf der Liste.

Die Anleitung für einen Nudelkampf

Vorbereitung:

  • genügend Freiraum schaffen (oder nach draußen auf eine Wiese gehen)
  • unbedingt eine begrenzte ‚Kampfzone‘ festlegen, z.B. mit einer Matte oder einem Teppich (Fläche von mindestens 1,50 x 3,00 Meter)
  • 2 Schwimmnudeln besorgen (die dünnere Ausführung nehmen, damit sie gut zu greifen sind)
  • Zeitmessung auf dem Handy aufrufen: Kampfrunde zeitlich begrenzen auf 2 oder3 Minuten, am besten mit Alarmfunktion

Regeln:

  1. Gestartet wird mit der Aufzählung der Regeln durch die Schiedsrichterin. Die zwei Kinder sitzen dabei jeweils hinter ihrer Nudel auf der Matte (siehe Foto oben) und hören zu.
  2. Der Nudelkampf beginnt mit dem ‚LOS!‘ von Schiedsrichter/in. (Start Zeitmessung)
  3. Der Kampf findet ausschließlich auf der Matte statt. Sobald ein Fuß auf den Bereich des Bodens kommt, wird ‚STOPP!‘ gerufen und erst weitergekämpft, wenn wieder alle Füße auf der Matte sind.
  4. Wenn eine Nudel herunterfällt, ist Kampf-Stopp, solange, bis beide ihre Nudel wieder halten.
  5. Auf der Matte kann sich frei bewegt werden beim Nudelkampf. Es gibt keine festgelegte Seite.
  6. Die Nudel kann an die gegnerische Nudel oder an den Körper des Gegners oder der Gegnerin geschlagen werden, Beine, Bauch, Rücken, Arme.. TABU ist jedoch jeder Schlag oberhalb der Schultern! Hier wird sofort ein STOPP gerufen. Es wird horizontal geschlagen mit der Nudel, NIE von oben nach unten.
  7. Jede/r kann zwischendurch ein STOPP rufen, wenn er/sie eine Unterbrechung braucht. Schiedsrichter/in startet dann jeweils wieder mit dem Kommando ‚LOS!‘.
  8. Bei Ertönen des Alarms setzen sich die Kinder wieder in die Anfangsposition, wichtig dabei: Die Nudel muss wieder quer vor den Kids auf dem Boden gelegt werden und dort liegen bleiben!
  9. Schiedsrichter/in stellt die Frage: ‚Wie war der Kampf für dich?‘ nacheinander an beide Kinder. Positives und negatives zum Ablauf des Kampfes kann gesagt werden, wird aber nicht kommentiert.
  10. Eine oder zwei Wiederholungen der Runden sind möglich, wenn beide Kinder sich das wünschen.

Viel Spaß!

Eine friedliche Zukunft für uns und unsere Kinder, das wünscht sich, und euch

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